Weil die Verwaltungen vollkommen überlastet sind, stehen fast 10.000 Schüler auf der Warteliste. Und es könnten noch mehr werden. Besonders dramatisch ist derzeit die Situation in der City West.
Die zwölf bezirklichen Musikschulen Berlins können teilweise wegen Personalmangels in der Verwaltung keine neue Schüler mehr für die Ausbildung an Instrumenten annehmen. Laut Senatsbildungsverwaltung sollen derzeit berlinweit etwa 10.000 Schüler auf einen der begehrten Plätze an einer der staatlichen Musikschulen warten.
Besonders dramatisch ist derzeit offensichtlich die Situation im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Dort stehen mehr als 700 Interessenten auf der Warteliste. Und bald werden es wohl noch deutlich mehr werden, denn die Verwaltung der dortigen Musikschule City West hat nun einen Aufnahmestopp für neue Schüler verhängt.
Die wenigen Mitarbeiter in der Verwaltung würden seit Monaten Überstunden machen und seien total überlastet, erklärt Arthur Hipp, Leiter der Musikschule City West. Im August 2013 sei eine Mitarbeiterin ausgefallen und bis heute nicht wieder zurück an ihrem Arbeitsplatz, seit Januar fehle noch eine zweite Kollegin. „Ursprünglich hatte ich vier Mitarbeiter in der Verwaltung, nun sind nur noch zwei da – und dabei ist der Verwaltungsaufwand im vergangenen Jahr enorm gestiegen.“
Neue Software funktioniert nicht
Im August 2013 ist die neue Honorarordnung für Berliner Musikschullehrer in Kraft getreten. Mehr als 90 Prozent der insgesamt 1900 Lehrkräfte arbeiten freiberuflich. Bislang bekamen sie abhängig vom Umfang ihrer Unterrichtsstunden eine Pauschale, nach der neuen Regelung wird nun aber jede Stunde einzeln abgerechnet. Das bedeutet sowohl für die Lehrer als auch für die Verwaltung einen enormen Mehraufwand.
Erleichtert werden sollte deren Arbeit durch eine neue Software, doch die funktioniert bis heute nicht, sodass die Mitarbeiter in den Musikschulen nun per Hand alle Daten eingeben müssen oder sich mit anderen Zwischenlösungen behelfen. „Das ist ein Riesenwust an Bürokratie“, so Hipp. Die zwei ihm verbliebenen Mitarbeiter kümmern sich um 250 Musikschullehrer und 4800 Schüler. Nach einem Kommissionsbericht, für den Musikschulleiter und Bezirksstadträte einen Personalschlüssel errechnet haben, benötigt allein die Musikschule City West acht bis zehn Stellen, um die Arbeit zu bewältigen.
Langwieriges Stellenbesetzungsverfahren
Arbeit für acht bis zehn Mitarbeiter auf nur zwei Verwaltungskräfte zu verteilen, hält Arthur Hipp für unverantwortlich, daher hat er in der vergangenen Woche den Entschluss gefasst, die Schülervermittlung vorerst ruhen zu lassen. Das heißt, zurzeit werden keine neuen Schüler an der Musikschule Charlottenburg-Wilmersdorf aufgenommen. Ein Zustand, den Hipp bedauert, doch er will auch ein Zeichen setzen: „Wir können ja nicht immer so tun, als laufe es, wenn es gar nicht läuft.“
Die Bildungsstadträtin von Charlottenburg-Wilmersdorf, Dagmar König (CDU), sieht die Not und spricht von einer „absolut unbefriedigenden Situation“, aber von heute auf morgen könne sie auch nichts ändern. Durch jahrelangen Abbau sei die Personaldecke in allen Bereichen hauchdünn, da gebe es keinen Spielraum, Mitarbeiter nach Bedarf von A nach B zu schieben. Außerdem sei das Stellenbesetzungsverfahren langwierig, mindestens ein halbes Jahr würde es dauern, bis eine Stelle ausgeschrieben und besetzt sei.
Probleme in den Bezirken
Dagmar König rechnet daher damit, dass der Aufnahmestopp an der Musikschule City West mindestens ein halbes Jahr andauern wird. Doch nicht nur in Charlottenburg-Wilmersdorf knirscht es. Auch die anderen elf bezirklichen Musikschulen können die Verwaltungsaufgaben kaum noch bewältigen. In Neukölln gibt es zwar keinen generellen Aufnahmestopp, aber die Wartezeiten für Neuverträge haben sich dort erheblich verlängert.
„Der Verwaltungsaufwand, der mit der neuen Honorarordnung einhergeht, geht deutlich über das bisherige Maß hinaus“, sagt Bildungsstadträtin Franziska Giffey (SPD), „die Veranstaltungsplanung und die Schülervermittlung kommen dadurch zu kurz.“ Auch die Musikschule in Mitte hat Probleme. „Wir beißen uns durch“, sagt die dortige Stadträtin Sabine Weißler (Grüne). Die Einführung der neuen Software wurde „personell nicht unterfüttert“, kritisiert sie. Niemand habe mehr einen Vertreter, wenn also ein Mitarbeiter ausfalle, bleibe die Arbeit liegen.
In Berlins größter Musikschule, in Steglitz-Zehlendorf, müssen sich Eltern und Kinder ebenfalls auf längere Wartezeiten für den Unterrichtsbeginn bei Neuanmeldung einstellen. „Die Umstellung von einer pauschalen monatlichen Honorarzahlung auf eine Einzelabrechnung bedeutet bei mehr als 300 Honorarlehrern einen zusätzlichen bürokratischen Mehraufwand, der mit dem vorhandenen Personal objektiv nicht zu leisten ist“, sagt Musikschulleiter Joachim Gleich. Das führe auch zu einem erheblichen Verlust an Servicequalität.
Lehrkräfte rechnen mit drei Prozent Einkommesverlust
Wann die Software endlich zum Einsatz kommt, ist unklar. Thorsten Metter, Sprecher der Bildungsverwaltung, sagt, sie sei „für den sogenannten Probe-Echtbetrieb einsetzbar“. Allerdings gebe es noch Probleme in den Bezirken, die einen Einsatz hinauszögerten. Das Pingpong-Spiel zwischen Senat und Bezirken ist typisch für die ganze Debatte über die Situation der Musikschulen. Jeder sieht den jeweils anderen in der Verantwortung. Zuständig sind die Bezirke, aber die neue Honorarordnung wurde vom Senat beschlossen. Leidtragend sind letztlich die Schüler und die Musikschullehrer.
Die Lehrer rechnen durch die neue Honorarordnung mit einem Einkommensverlust von drei Prozent. Dabei liegen die meisten Lehrkräfte mit ihrem Verdienst schon am Existenzminimum. Wenn durch einen Aufnahmestopp keine neuen Schülerverträge mehr abgeschlossen werden können, bedeutet das für sie einen zusätzlichen Einnahmenverlust.
Im Dezember 2013 hat das Abgeordnetenhaus immerhin entschieden, dass die zwölf Musikschulen für 2014 und 2015 zusätzlich je 2,5 Millionen Euro bekommen sollen. Gegenwärtig wird zwischen Senat und Bezirken beraten, was mit dem Geld passieren soll. „Sowohl die Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung mit Unterrichtsangeboten der Musikschulen als auch Maßnahmen zur Verbesserung der strukturellen Situation der Musikschulen werden dabei einbezogen“, erklärt Thorsten Metter. Angesichts einer Quote von mehr als 90 Prozent Honorarlehrern und einer Warteliste von fast 10.000 Schülern in ganz Berlin wird diese Summe aber für die Musikschüler und ihre Lehrer eine kaum fühlbare Verbesserung bringen.